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http://www.jeuneafrique.com/gabarits/articleJAI_online.asp?art_cle=LIN14085chauvsialgn0 Chauvinisme anglais - 14 aout 2005- par MARIE-CHRISTINE IMBAULT L'edition britannique fait-elle tout pour ecarter les lecteurs du meilleur de la production internationale ? C'est ce que suggerait carrement le president de jury du premier Man Booker International Prize, John Carey, lors de la remise du prix a Ismail Kadare, le 27 juin dernier. = Lorsque nous avons voulu etablir notre selection de 120 auteurs, a-t-il explique pendant son discours, nous avons du les eliminer les uns apres les autres, non pas a cause de la mauvaise qualite du texte, mais parce que les livres n'etaient pas disponibles en anglais. = Peter Handke, Michel Tournier, Christoph Ransmayr, Antonio Lobo Antunes, Rachid Boudjedra, Fernando Vallejo n'ont ainsi eu aucune chance, leurs oeuvres n'etant plus ou pas disponibles outre-Manche. = Si vous etes espagnol, français, italien ou allemand, vous trouvez les traductions de tous les livres importants du monde dans votre librairie de quartier. Ce qui a ete ecrit en Chine, des histoires coreennes ou encore le nouveau roman espagnol ou scandinave. Si vous vivez en Angleterre, vous n'aurez pas une telle abondance =, a-t-il deplore, apres avoir parcouru pendant plusieurs mois les rayons des libraires. Si les editeurs britanniques n'etaient pas aussi meprisants vis-a-vis des oeuvres etrangeres dans les annees 1980 et 1990, ils ont depuis abandonne leurs droits de traduction sur la plupart d'entre elles, un danger que l'ancien professeur d'anglais a Oxford met en avant : = S'ils avaient fait preuve du meme laxisme il y a cinquante ou soixante ans, les Anglais ne connaîtraient ni Kafka, ni Camus, ni Calvino, ni Borges. = En reponse a ce signal d'alerte, le quotidien britannique The Guardian a demande a une dizaine de critiques de designer les auteurs etrangers susceptibles d'etre traduits. Pour la France, le critique John Mullan a designe Marie Darrieussecq .
Kali von Peter Handke, 2007, Suhrkamp2.) Kali. Roman von Peter Handke (2007, Suhrkamp) Besprechung von Ina Hartwig aus der Frankfurter Rundschau, 14.02.2007: Der Salzherr und die Sängerin Zwischen Predigt und Kammeroper: Peter Handkes Vorwintergeschichte "Kali" träumt von Erlösung in der Fremde des neuen Europa Über Picasso wird gesagt, er habe immer weiter gemalt; das Fertigstellen eines Bildes sei weniger wichtig gewesen, als ein neues anzufangen. Vieles entsteht auf diese Weise nebenher, zwischendurch, als Unterbrechung, Durchatmen oder Besinnung. Stillstand ist nicht vorgesehen. Ein ähnlich rastloses Weitermachen kann für den Schriftsteller Peter Handke angenommen werden. Dabei gehört seine neue "Vorwintergeschichte" Kali gewiss eher zu den Neben- als zu den Hauptwerken Handkes. Aber vielleicht signalisiert sie auch einen Übergang - ganz wie die Jahreszeit im Untertitel der Geschichte. Die stilistische und thematische Freiheit, die Handke sich nimmt, ist wie fast immer bei diesem Autor atemberaubend. So viele schwere Zeichen werden in die Waagschale geworfen, dass sich der Interpretationslust viele - zu viele? - Wege öffnen. Ort des Geschehens ist ein Salzbergwerk und die Siedlung dazu - womöglich, aber nur womöglich, in der Nähe Salzburgs; ein Ort, an dem lauter "Ausgewanderte" leben, Arbeiter des Kaliwerks, die von überall kommen, deren Akzentgemisch einen neuen - und zwar durchaus verführerischen - Sound ergeben. Es ist das Murmeln des "anders aktuellen" Vereinten Europa, eines Europa nicht der Kriegsherren, sondern der gewöhnlichen, friedfertigen Leute, die sich einrichten zwischen ihrem Auswandererschicksal und den hinübergeretteten Gewohnheiten aus der verlorenen Heimat. Diese Menschen sind "Überlebende und haben in ihrem Überlebenskampf jede Lebenskraft verloren", formuliert der wie über allem schwebende Erzähler apodiktisch. Manchmal erscheinen sie ihm sogar wie "Überlebende des Dritten Weltkriegs, der rund um uns schon seit langem wütet, unerklärt, wenig sichtbar, aber umso böser". Vom Knistern der Salze Seit zehn Jahren ist kein Kind mehr in jenem Bergwerksort geboren worden. Anstatt dass die Bevölkerung sich vermehrt, verschwinden die Kinder spurlos, "Gesucht"-Plakate zeugen davon. Das letzte Kind, das verloren ging, heißt Andrea respektive Andreja, ob Junge oder Mädchen, bleibt offen. Eine bittere Klage ob dieses Kind-Verlusts liegt in der Luft. Überhaupt ist viel von Geräuschen die Rede in Kali, von betörender Musik, entnervendem Krach und sprechendem Wind; vom Knistern der Kalisalze in der riesigen ausgeleuchteten Salzkathedrale in den Tiefen des Bergwerks. Oder von den Flugzeugen am Himmel, von denen wir offenbar annehmen sollen, sie seien Abgesandte ferner (oder gar nicht so ferner) Kriege. Dieses Kaliwerk, wo immer in Europa es liegen mag, ist definitiv ein Symbolort: "Toter Winkel" heißt vielsagend die Siedlung um das Salzwerk. Positiv gewendet repräsentiert der Tote Winkel eine neue Heimat aus der Heimatlosigkeit heraus, eine Bastelheimat, die profitiert vom Geschick des Improvisierens. Negativ gewendet ist es jedoch die "Hölle auf Erden", "die Erde als Hölle". So formuliert es die Pastorin, die Ortsgeistliche, in ihrem Zweifel ob der entleerten Rituale, ob des Glaubensverlustes ihrer Gemeinde, ob des verlorenen Kindes. Zum Ende hin jedoch wird ihr Glaubenszweifel besiegt, weil - ja, das ist der Grund - das verlorene Kind zurückkehrt. Es wird wiedergefunden - vom wem, dazu gleich mehr. "Das Leben ist neu erschienen", jubiliert die Pastorin, und fährt im Handke-Pathos fort. "Die Träume sind zurückgekommen: Schaut, schaut - hört, hört. Nach all dem Schrecken, dem Grauen; wie sehe ich klarer, wie höre ich besser. Unsere Geschichte: aufzugeben? Ausgeträumt? Nein, ich gebe die Geschichte nicht auf." Die Pastorin erhält in diesem schmalen Buch die meiste Redezeit, vielleicht weil sie das Alter ego des Autors ist? Es wäre nicht das erste Mal, dass Peter Handke den Frauen eine kraftvolle Stimme gibt. Selbst Don Juan (erzählt von ihm selbst) - sein meisterhaftes Prosawerk von 2004 - ließ sich begreifen als Hommage an die eigenständige, unkonventionelle, selbstbewusste Frau. Einmal heißt es nun in Kali aus dem Mund eines Gitarristen: "Was ein Mann ist, wusste ich nicht mehr, habe es im übrigen nie gewusst, aber was eine Frau ist: ja!" Und die Sängerin, zu der er spricht, erwidert: "Die Liebe der Frauen ist schrecklich." Könnte die Sängerin ebenfalls das Alter ego des Erzählers sein, eines Erzählers, der niemals leibhaftig in Erscheinung tritt, der nicht mittut, sondern arrangiert, inszeniert, von einem anderen Ort aus, den wir - die Leser - nicht kennenlernen? Nein, die Sängerin ist nicht sein Alter ego, sie ist vielmehr die Prophetin des Buchs und somit Gegenpart, aber auch Mitspielerin der Pastorin. Über die Sängerin verrät der Erzähler gleich am Anfang: "Auch mir hat sie Angst gemacht, macht sie Angst. Aber ich möchte mich ihr stellen." Eine zwielichtige, schillernde Gestalt also, diese Sängerin. Ihre Schönheit und Herzlichkeit wird auch im Toten Winkel für einige Verwirrung sorgen, oder besser: für Verwandlung. Gerade hat die Sängerin eine Konzert-Tournee beendet, als sie sich - wie kann es bei Handke anders sein? - auf Wanderschaft begibt, im Bus, auf dem Schiff und mit kräftigen Schritten. Sie ist auf der Suche nach EINEM Mann (und insofern sehr wohl Gegenentwurf und Fortsetzung zum Don Juan, der ALLE Frauen haben wollte). Die Männer, denen sie begegnet - Chauffeur, Gitarrist, Busfahrer - reagieren stark auf sie, begehren sie vielleicht. Sie aber warnt: Sie bringe den Tod. Ob sie den Tod auch jenem EINEN bringt, den sie im Toten Winkel dann finden wird? Vorher wird sie noch ihre Mutter besuchen, die im Wald wohnt, ein verblühter Filmstar ohne Kontakt zur Bevölkerung, isoliert und stolz. Aus deren Mund vernehmen wir eine psychische Grausamkeit, die nicht schuldhaft und doch unauslöschlich wirksam ist: Sie, die Sängerin, sei zwar "ein Kind der Liebe", sagt ihr die Mutter. "Aber seltsam: Ich habe dich nicht gewollt. Ich habe dich nicht zur Welt bringen wollen. Ich habe dich nicht gebären wollen. Ich habe dich sogar weghaben wollen. ... Ein Waisenkind bist du, eine Vollwaise. Armes Kind." Ist die wandernde Sängerin also in gewisser Weise selbst das Kind, das verloren ging - Andrea, Andreja - und das sie am Ende wiederfindet, wie diese Sängerin überhaupt eine große "Finderin" ist? Soviel steht fest: Ein ins Weibliche transponiertes Mythengeflecht ist diese Sängerin, teils Orpheus (Gesang, tödlicher Blick), teils Odysseus (Weltreisender auf dem Heimweg), teils Jesus (der Erlöser). Und da Kali zudem der Name einer indischen Göttin ist, wäre auch hier ein wüstes Weiterspinnen erlaubt... Doch darauf kommt es womöglich gar nicht an. Denn Peter Handke erzählt auch eine überwältigend einfache Liebesgeschichte, er erzählt von der Überwindung des Dunklen, Drohenden, Grausamen, von der Überwindung des Verlassenseins, des Kriegs zwischen Ländern und Menschen, er erzählt seine ganz persönliche Illusion: "Ja: Es ist eine Zeit, in der so viel möglich war wie vielleicht noch nie, im Bösen und im Guten, und vor allem im Unerhörten". Kühnes, gottgefälliges Paar Der leitende Ingenieur des Kaliwerks, "Salzherr" genannt, ist der Erwählte; Mann aus dem Osten, Vater eines traurigen, verblüffend selbstständigen Sohnes - ein Witwer. Er spricht ergreifend von seiner verstorbenen Frau, und es fällt ihm sichtlich schwer, sich auf die erschienene Sängerin "einzulassen", wie diese drohend-erwartungsvoll hofft. Das Böse wird diesmal nicht vergessen, im Gegenteil, es ist da - im Missverständnis zwischen Mutter und Tochter, zwischen Vater und Sohn, und am Himmel, wo die Kriegsflugzeuge kreisen, sowieso. Aber das unerhört Gute soll offenbar siegen. Der Sohn vertraut der Sängerin an, dass er den Vater nur störe, während der Vater der Fremden versichert, sein Sohn sei sein Ein und Alles. Dieses traumatisch belastete, restfamiliäre Doppelgemüt zu erobern, ist keine Kleinigkeit für die Sängerin - aber es gelingt ihr! Der Salzherr und die Fremde fallen einander in die Arme, und von nun an scheint ein Singen anzuheben: "Verwandlung". Ein wunderbares Fest wird gefeiert, ein Gottesdienst abgehalten. Es ist die große Versöhnung unter all den Fremden, die, ihrer Vaterländer und Muttersprachen, ihrer Zwiebeltürme und Besitztümer beraubt, im Toten Winkel zusammenleben. Mit der Sängerin kommt nicht nur das verlorene Kind, es kommen die Träume überhaupt zurück, das ganze lebenswerte Leben, und die Pastorin predigt: "Nichts Schöneres, nichts Gottgefälligeres als ein kühnes Paar." Eine rücksichtslos überladene Etüde, ein Traumspiel, eine gezielte poetische Überhöhung ist diese "Vorwintergeschichte"; als Einstieg ins Handke-Universum denkbar ungeeignet. Wer den hohen Ton Handkes nicht mag, und diesmal ist er besonders ausgeprägt, wird die Finger ohnehin von dem Büchlein lassen. Wer aber einen unserer bedeutenden poetischen Illusionisten bei der Arbeit beobachten möchte, lese Kali. Je mehr man sich hineindenkt, desto traumwandlerisch-sicherer entfaltet sich diese Kammeroper der Erlösung. Und doch ist man erleichtert, aus dem Mund der Pastorin endlich zu hören, sie habe nun "genug gepredigt". "Zurück zur Prosa", kündigt sie an. Möge ihr rastloser Erfinder ihr folgen! [...diese und weitere Besprechungen finden Sie unter fr-logo] Leseprobe I Buchbestellung I home 0207 LYRIKwelt © Frankfurter Rundschau *** Kali von Peter Handke, 2007, Suhrkamp3.) Kali. Roman von Peter Handke (2007, Suhrkamp) Besprechung von Gudrun Norbisrath in der WAZ, vom 22.2.2007: Wehe Weltsicht Peter Handkes neues Buch "Kali. Eine Vorwintergeschichte" erzählt eine wüste Geschichte von einer Sängerin, die reist, um zu sterben. Oder um zu leben. Ein gefühlvolles Buch, für das der Leser Kraft braucht Wenn Peter Handke nicht gerade markige Worte am Grab von Kriegsverbrechern findet, ist er ein melodischer Dichter. Einer, der in Rätseln schwelgt und tiefe Wahrheiten meint, der dunkel raunt und Ewigkeit im Sinn hat; oder mindestens das derzeit ziemlich schäbige Leben mit all seinen Zwängen. So auch in seinem jüngsten Buch, "Kali", einem Kurzroman oder einer Erzählung; jedenfalls voll weher Weltsicht und dennoch heiterer Zuversicht. Also absolut ungenießbar. Ein träumerischer Klumpatsch, erzählt mit riesigen Augen und klaftertiefer Seele. Also Buch zu und weg damit? Immerhin sprechen wir vom Autor der "Publikumsbeschimpfung", einem Stück, dessen Titel zum geflügelten Wort wurde ebenso wie "Die Angst des Tormanns beim Elfmeter". Die Inhalte sind allerdings nicht weiter bekannt. Dass der "Torwart" ein Mörder ist, der mit der Scheinhaftigkeit des Daseins ringt; dass das Publikum weniger beschimpft als thematisiert wird und dass Handke, der wegen seiner Sympathien für Slobodan Milosevic den Heine-Preis nicht bekam, vor allem um Ästhetik ringt - wer weiß das schon. Und wer will es wissen? "Kali" ist ein entnervendes Buch, man kann es in die Ecke schmettern oder darüber einschlafen, wenn man nicht aufpasst. Man sollte aber aufpassen, denn "Kali" ist ein Epos gegen den Krieg. Das ist nichts Falsches. Es ist leider schwelgerisch und bis zur Verzückung verliebt in die eigene Sprache, aber es ist ein Buch über Vereinsamung, Entfremdung, Angst vor dem Tod, und über die irrationale Hoffnung auf ein allseits gutes Ende. Das wird prompt geliefert, ein mystisches Fest wird gefeiert, von dem es heißt: "Solange es in Gang war, konnte keinem im Umkreis etwas geschehen", und ein verloren gegangenes Kind kehrt auch zurück. Das ist ein bisschen viel Symbolik, aber der Traum vom Frieden steht tapfer und rührend gegen alle beinharte Kritik. So fängt es an: "Auch mir hat sie Angst gemacht, macht sie Angst. Aber ich möchte mich ihr stellen." Um Himmels willen, was soll so ein Satz, wenn nicht verwirren? Empfindsam geht es weiter. Die Frau, die der erste Satz beschreibt, ist vieldeutig. Eine Sängerin, die mit ihrer Kunst begeistert, und nach einem geheimnisvollen Grundsatz lebt. Was sie ausgesprochen hat, muss sie ausführen. Nebenbei ist sie eine Todbringerin; der Mann, den sie sich wählt, dessen (o Gott!) Körper sie wird, muss mit ihr sterben. Warum? Da sind wir mitten im Deuteln. Handke erspart uns nichts. Die Frau geht durch die Straßen. Fährt mit dem Zug, mit dem Bus und beobachtet die Menschen. Erreicht mit dem Schiff, dem Boot die Gegend, in der sie geboren wurde oder vielmehr die Gegend dahinter; ein fremdes Land, in dem ein Kaliberg aufragt. Trifft ihre Mutter, die auf sie gewartet hat oder nicht, trifft einen Mann und fährt mit ihm ins Bergwerk ein, und ganz unten, da, wo es geruchlos, stockfinster und totenstill ist, geschieht - was? "Dann nur noch die Stille", sagt der sonst so beredte Erzähler. Danach wird er umso mitteilsamer, wenn Mann und Frau zum Sterben gehen, und gerade, als sie sich in den Abgrund stürzen wollen, weht ihnen der Schneewind persönlich die Worte herüber, die das mystische Spiel beenden: "Allein, dass du es gesagt hast, heißt nicht, dass du es tun musst." Man muss das nicht mögen. Aber es hat seinen Reiz. Dieses Buch ist ein Irrgarten und ein Gedicht; doch warum sollten ersehnter Friede und realer Unfriede nicht poetisch beschrieben werden? Handke treibt es allerdings ein bisschen weit. Das Kali-Bergwerk ist ein tödlicher Ort, doch gerade hier entsteht eine starke Gemeinschaft. Und Kali ist eine indische Göttin. Eine furchtbare; sie trägt Totenschädel und Waffen an einer Kette um den Hals. Da irisiert das große Ziel doch gewaltig. Handke ist Handke. Er betrachtet die Menschen als ein Gott von oben, schildert Ereignisse wie Filmsequenzen und erliegt dem Charme der Emotionen. Doch mitten hinein in Sätze hart am Kitsch kann märchenhaft ein Rabe fliegen mit einem gelben Tischtennisball im Schnabel - "oder ist es ein Stück Kuchen?" Mythen und Wahrheit. Man muss sehr wach sein, um dem zu folgen. Wenn es aber gelingt, den Text zu überschauen, kann ein Zipfel Verständnis für den Freund Milosevics entstehen. Übermäßige Emotion, ein selbst gesetzter Zwang müssen zur Parteinahme geführt haben. Ist das Buch ein Eingeständnis? Ich habe es gesagt, also muss ich es tun - "Kali" nimmt die krude Regel zurück. Die Sängerin lebt. [...diese und weitere Besprechungen finden Sie unter www.waz.de] Leseprobe I Buchbestellung 0207 LYRIKwelt © Westdeutsche Allgemeine *** Kali von Peter Handke, 2007, Suhrkamp4.) Kali. Roman von Peter Handke (2007, Suhrkamp) Besprechung von Christoph Pollmann aus dem titel-magazin vom 25.2.2007: Die Angst des Kritikers vorm Handke-Peter "Ich habe im vergangenen Sommer eine Geschichte geschrieben, die von einem vermissten Kind handelt. Es heißt Andrea, so dass man nicht genau weiß, ob es ein Junge oder ein Mädchen ist. Ich habe eine Meisterin im Wiederfinden erfunden, so eine, die geholt wird, wenn einem die Kontaktlinse in den Kies fällt." Hand aus der Hose, ist das nicht saukomisch? Also, wer hier nicht lacht, der ist (betriebs-)blind. Helge Schneider de luxe, mit toller Poetentolle und rotweinroter Zunge! Aber es gibt tatsächlich noch ein paar Kathedergrößen der Kritik, die karnickelgleich vor dieser österreichischen Schlange erstarren und – egal was sie zischelt – wie aus Reflex ihre altbewährten Sprüchlein aufsagen. Ursula März beispielsweise ist eine echte Sich-nicht-mehr-Einkriegerin! Peter Handke, so verlautbart sie in der ZEIT, gehört zu einem einsamen „Trüppchen der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur“, „ein rätselhafter Erzähler“, der mit seiner "vieldeutigen Erzählordnung" das Feuer wahren Leseglücks in ihr zu entfachen vermag. Kali sei ein "strukturstarkes, szenisches Konzentrat", eine sentimentale Aufladung o¬ntologischer Kindlichkeitsutopien“ samt ihrer "christlichen Erlösungsszenarien". Oh Ursula von Berlin, du Mystikerin der Neuerscheinungen, da hast du dir aber einen eitlen Götzen ausersehen! Siehst du deinen St. Peter, den großen Märtyrer des Literaturbetriebs, denn gar nicht feixen? Aber vermutlich geht das schlecht, wenn man auf Knien, gesenkten Hauptes... Dichtkunst – das Starterset Oh ja, es wird in Kali ordentlich poetisch, wenn auch zumeist auf Kartoffeldruck-Niveau, denn schon im Titel beginnen die quälenden Komposita, die Kalliope (Handkes Lieblingsmuse) so schamlos anzuheulen trachten. Und Komposita sind ganz empfindliche Gewächse - sie blühen selten auf. Wenn, dann ist es ein Ereignis, das eine ganze Lektüre zu überduften vermag. Wenn nicht, dann wird’s ganz schön muffig im Kartoffelkeller... Besehen wir uns in Kali mal eine Reihe handkescher Schöpfungen: der Salzherr, der Grubenherr, die große Finderin, das Salzdomknistern, die Hügelkuppenwiese (sic!), die Beinahmenschenleere, die Schneenacht, der Schneewind, die Windnacht, der Nachtmahltisch, (das Zubettgehbett?), der Speisenaufträger, die Kaufdinge (P. H. ein romantischer Sozialist?). Das Bild, das sich hier abzeichnet ist deutlich: Die Gebrüder Grimm schreiben Drehbücher für Fassbinder... – unappetitlich. Die Handlung der „Vorwintergeschichte“: Nach Abschluss ihrer Tournee reist eine Sängerin "in die Gegend gleich nebenan, hinter dem Kindheitsfluss. Dort ist der Winter noch Winter.“ Ein Kind ging vor zehn Jahren verloren und die Sängerin wird mit der Suche beauftragt. Garantiert ohne Zusatzstoffe Das alles kennen wir schon von Prinz Kräuselbart. Das ist kein „Alterswerk“, wie der SZ-Rezensent Willi Winkler verlautbart, das ist schon lange Vorgekautes. Das ästhetische Verfahren: Vermengen der Gattungen, der Genre, der modernen Mythen mit den herkömmlichen – 100% Handke! Mit ätzender Kritik überzieht Hubert Spiegel dann auch diese Geschichte und das darin ersonnene "Auenland". Er vergleicht diesen Ort mit Tolkiens grundheiler Hobbit-Welt, in der er "umkommen möchte vor Langeweile". Die Geschichte laufe ab wie ein "schlechter Hollywoodfilm der fünfziger Jahre". Alles sei nicht nur vorhersehbar, sondern derart "abgedroschen", dass man nur noch staunen kann, mit welcher "nachlässig aufgesetzten Einfachheit" Handke mittlerweile produziert. Also langweilig, Herr Spiegel, ist Handkes Neuling auf keinen Fall! Kali ist zum Einen zu kurz, als dass Langeweile überhaupt aufkommen könnte, zum Anderen ist es ein poetelndes Amüsement ohnegleichen, bei dem man immer hofft, dass es der österreichische Künstler auch so gemeint hat, wie man es liest. Wenn nicht, dann „bäh“ - aber keinesfalls „gähn“. Und jetzt mal ehrlich: Der Salzdom ist schon ein dankbares Symbol, nicht? Eine Kirche unter der Erde, ein weißes, umgestülptes Babel, ein Elfenbeinturm ausgerichtet auf den Erdmittelpunkt, das Salz der Erde, in dem man wohnt... – man könnte ewig weiterassoziieren. Und dann ist Kali nicht nur der Kurzname für Kaliumsalze, sondern praktischerweise auch der Name der indischen Göttin der Vernichtung, die gleichzeitig auch Mutter der Erneuerung ist. Wie passend. Solche poetischen Komplexe schnüffelt sich ein Dichter aus, das riecht der sofort, dass da literarisch was geht, es ist schließlich sein Handwerk. Und Handke wäre nicht Handke, würde er diese Riesenmetapher nicht nach allen Regeln der Kunst vor unser aller Leseraugen tranchieren. Und keine Angst, es kriegt wirklich jeder sein Stückchen Poesie. Doch ob man davon satt wird? [...diese und weitere Besprechungen finden Sie unter TitelMagazin] Leseprobe I Buchbestellung 0407 LYRIKwelt - das LiteraturPortal im Internet! © titel-magazin *** Kali von Peter Handke, 2007, Suhrkamp4.) Kali. Roman von Peter Handke (2007, Suhrkamp) Besprechung von Jens Dirksen in der NRZ, vom 27.2.2007: Scheitern in Schönheit "Kali": Der neue Peter Handke erzählt ein Märchen aus der Gegenwart, ganz wie der alte. Weiß der Himmel, warum man dann doch wieder zum neuen Handke greift. Weil man wissen will, ob der unsägliche Streit um den Heine-Preis irgendwelche Spuren hinterlassen hat? Oder die Trennung von Katja Flint? Ob er wieder Serbienverteidigen spielt, wie ein Kind, das noch zu klein ist für Opportunismus oder kluge Taktik? Ach was. Aber nach dem letzten Roman, dem "Don Juan (erzählt von ihm selbst)", der so eigenwillig wie halbgelungen war, ein wenig zu kitschig, ein wenig zu aufgesetzt gedichtet und viel zu schwurbelig - danach hatte ich mir geschworen: Den nächsten liest du einfach mal nicht! Und dann habe ich "Kali" doch gelesen, diese "Vorwintergeschichte", die so gar nicht passen will zum Nachwinter draußen. Es beginnt mit einem Wortschneegestöber, aus dem Sätze herausragen, die gute Szenenanweisungen wären oder für ein Filmskript taugen. An ihnen aber muss man sich zur Geschichte erst durchhangeln. Sie beschwören eine Gegenwart herauf, die man nur zu gern verlässt, weil in ihr der dritte Weltkrieg "schon seit langem wütet, unerklärt, wenig sichtbar aber umso böser": Frauen in Abendkleidern verschwinden beim Wühlen halb in Mülltonnen, mancher hat auf seinem Hintern einen Polizistenstiefel, während "ein Bettelsmann gerade eine Champagnerflasche entkorkt" und manche sich schämen, Äpfel unterm Baum aufzuheben, obwohl die doch viel besser schmecken als die gekauften. Das ist der Wortbrei, hinter dem die Geschichte wartet: Eine Sängerin reist nach dem Ende ihrer Vorwinter-Tournee in die Gegend hinter der Gegend ihrer Kindheit, in den "Toten Winkel". Da liegt ein weißer Berg aus Kali, hinter einem Salzbergwerk. Dessen Direktor und die Sängerin fallen übereinander, beim Tanzen. Später auch woandershin, und das Märchen geht gut aus, obwohl doch eigentlich jeder sterben muss, der sich der Sängerin hingibt. Am Ende taucht sogar ein lang vermisstes Kind wieder auf, und selbst die strenge Pastorin, die sich so aufs Donnerwettern versteht, lädt alle zum Feiern ein. "Oder? Man weiß nie", heißt es auf der letzten Seite. Klischees gestreift und gefremdelt wie Kafka Was man allerdings weiß: Es war wieder ein Versuch, den Nebel zwischen dem Inferno der Gegenwart und einer menschlichen Utopie ein wenig zu lichten, mithin das Schwierigste, was sich ein Autor zumuten kann. Dass Handke dabei einmal mehr und mehr als einmal das Klischee streift? Sieht man ihm nach, weil er dafür ja auch wieder gekonnt fremdeln kann wie der große Kafka. Und weil man nie weiß, welchen Abweg er nun wieder geht. Er schreibt partout nicht geradeaus, und am Ende ist es das, weshalb man doch wieder zu Handke greift: Er ist nicht auszurechnen, er riskiert das Scheitern. Diesmal ist es ihm gelungen. (NRZ) [...diese und weitere Besprechungen finden Sie unter www.nrz.de] Der Salzherr und die Sängerin Zwischen Predigt und Kammeroper: Peter Handkes Vorwintergeschichte "Kali" träumt von Erlösung in der Fremde des neuen Europa VON INA HARTWIG Über Picasso wird gesagt, er habe immer weiter gemalt; das Fertigstellen eines Bildes sei weniger wichtig gewesen, als ein neues anzufangen. Vieles entsteht auf diese Weise nebenher, zwischendurch, als Unterbrechung, Durchatmen oder Besinnung. Stillstand ist nicht vorgesehen. Ein ähnlich rastloses Weitermachen kann für den Schriftsteller Peter Handke angenommen werden. Dabei gehört seine neue "Vorwintergeschichte" Kali gewiss eher zu den Neben- als zu den Hauptwerken Handkes. Aber vielleicht signalisiert sie auch einen Übergang - ganz wie die Jahreszeit im Untertitel der Geschichte. Die stilistische und thematische Freiheit, die Handke sich nimmt, ist wie fast immer bei diesem Autor atemberaubend. So viele schwere Zeichen werden in die Waagschale geworfen, dass sich der Interpretationslust viele - zu viele? - Wege öffnen. Ort des Geschehens ist ein Salzbergwerk und die Siedlung dazu - womöglich, aber nur womöglich, in der Nähe Salzburgs; ein Ort, an dem lauter "Ausgewanderte" leben, Arbeiter des Kaliwerks, die von überall kommen, deren Akzentgemisch einen neuen - und zwar durchaus verführerischen - Sound ergeben. Es ist das Murmeln des "anders aktuellen" Vereinten Europa, eines Europa nicht der Kriegsherren, sondern der gewöhnlichen, friedfertigen Leute, die sich einrichten zwischen ihrem Auswandererschicksal und den hinübergeretteten Gewohnheiten aus der verlorenen Heimat. Diese Menschen sind "Überlebende und haben in ihrem Überlebenskampf jede Lebenskraft verloren", formuliert der wie über allem schwebende Erzähler apodiktisch. Manchmal erscheinen sie ihm sogar wie "Überlebende des Dritten Weltkriegs, der rund um uns schon seit langem wütet, unerklärt, wenig sichtbar, aber umso böser". Vom Knistern der Salze Seit zehn Jahren ist kein Kind mehr in jenem Bergwerksort geboren worden. Anstatt dass die Bevölkerung sich vermehrt, verschwinden die Kinder spurlos, "Gesucht"-Plakate zeugen davon. Das letzte Kind, das verloren ging, heißt Andrea respektive Andreja, ob Junge oder Mädchen, bleibt offen. Eine bittere Klage ob dieses Kind-Verlusts liegt in der Luft. Überhaupt ist viel von Geräuschen die Rede in Kali, von betörender Musik, entnervendem Krach und sprechendem Wind; vom Knistern der Kalisalze in der riesigen ausgeleuchteten Salzkathedrale in den Tiefen des Bergwerks. Oder von den Flugzeugen am Himmel, von denen wir offenbar annehmen sollen, sie seien Abgesandte ferner (oder gar nicht so ferner) Kriege. Dieses Kaliwerk, wo immer in Europa es liegen mag, ist definitiv ein Symbolort: "Toter Winkel" heißt vielsagend die Siedlung um das Salzwerk. Positiv gewendet repräsentiert der Tote Winkel eine neue Heimat aus der Heimatlosigkeit heraus, eine Bastelheimat, die profitiert vom Geschick des Improvisierens. Negativ gewendet ist es jedoch die "Hölle auf Erden", "die Erde als Hölle". So formuliert es die Pastorin, die Ortsgeistliche, in ihrem Zweifel ob der entleerten Rituale, ob des Glaubensverlustes ihrer Gemeinde, ob des verlorenen Kindes. Zum Ende hin jedoch wird ihr Glaubenszweifel besiegt, weil - ja, das ist der Grund - das verlorene Kind zurückkehrt. Es wird wiedergefunden - vom wem, dazu gleich mehr. "Das Leben ist neu erschienen", jubiliert die Pastorin, und fährt im Handke-Pathos fort. "Die Träume sind zurückgekommen: Schaut, schaut - hört, hört. Nach all dem Schrecken, dem Grauen; wie sehe ich klarer, wie höre ich besser. Unsere Geschichte: aufzugeben? Ausgeträumt? Nein, ich gebe die Geschichte nicht auf." Die Pastorin erhält in diesem schmalen Buch die meiste Redezeit, vielleicht weil sie das Alter ego des Autors ist? Es wäre nicht das erste Mal, dass Peter Handke den Frauen eine kraftvolle Stimme gibt. Selbst Don Juan (erzählt von ihm selbst) - sein meisterhaftes Prosawerk von 2004 - ließ sich begreifen als Hommage an die eigenständige, unkonventionelle, selbstbewusste Frau. Einmal heißt es nun in Kali aus dem Mund eines Gitarristen: "Was ein Mann ist, wusste ich nicht mehr, habe es im übrigen nie gewusst, aber was eine Frau ist: ja!" Und die Sängerin, zu der er spricht, erwidert: "Die Liebe der Frauen ist schrecklich." Könnte die Sängerin ebenfalls das Alter ego des Erzählers sein, eines Erzählers, der niemals leibhaftig in Erscheinung tritt, der nicht mittut, sondern arrangiert, inszeniert, von einem anderen Ort aus, den wir - die Leser - nicht kennenlernen? Nein, die Sängerin ist nicht sein Alter ego, sie ist vielmehr die Prophetin des Buchs und somit Gegenpart, aber auch Mitspielerin der Pastorin. Über die Sängerin verrät der Erzähler gleich am Anfang: "Auch mir hat sie Angst gemacht, macht sie Angst. Aber ich möchte mich ihr stellen." Eine zwielichtige, schillernde Gestalt also, diese Sängerin. Ihre Schönheit und Herzlichkeit wird auch im Toten Winkel für einige Verwirrung sorgen, oder besser: für Verwandlung. Gerade hat die Sängerin eine Konzert-Tournee beendet, als sie sich - wie kann es bei Handke anders sein? - auf Wanderschaft begibt, im Bus, auf dem Schiff und mit kräftigen Schritten. Sie ist auf der Suche nach EINEM Mann (und insofern sehr wohl Gegenentwurf und Fortsetzung zum Don Juan, der ALLE Frauen haben wollte). Die Männer, denen sie begegnet - Chauffeur, Gitarrist, Busfahrer - reagieren stark auf sie, begehren sie vielleicht. Sie aber warnt: Sie bringe den Tod. Ob sie den Tod auch jenem EINEN bringt, den sie im Toten Winkel dann finden wird? Vorher wird sie noch ihre Mutter besuchen, die im Wald wohnt, ein verblühter Filmstar ohne Kontakt zur Bevölkerung, isoliert und stolz. Aus deren Mund vernehmen wir eine psychische Grausamkeit, die nicht schuldhaft und doch unauslöschlich wirksam ist: Sie, die Sängerin, sei zwar "ein Kind der Liebe", sagt ihr die Mutter. "Aber seltsam: Ich habe dich nicht gewollt. Ich habe dich nicht zur Welt bringen wollen. Ich habe dich nicht gebären wollen. Ich habe dich sogar weghaben wollen. ... Ein Waisenkind bist du, eine Vollwaise. Armes Kind." Ist die wandernde Sängerin also in gewisser Weise selbst das Kind, das verloren ging - Andrea, Andreja - und das sie am Ende wiederfindet, wie diese Sängerin überhaupt eine große "Finderin" ist? Soviel steht fest: Ein ins Weibliche transponiertes Mythengeflecht ist diese Sängerin, teils Orpheus (Gesang, tödlicher Blick), teils Odysseus (Weltreisender auf dem Heimweg), teils Jesus (der Erlöser). Und da Kali zudem der Name einer indischen Göttin ist, wäre auch hier ein wüstes Weiterspinnen erlaubt... Doch darauf kommt es womöglich gar nicht an. Denn Peter Handke erzählt auch eine überwältigend einfache Liebesgeschichte, er erzählt von der Überwindung des Dunklen, Drohenden, Grausamen, von der Überwindung des Verlassenseins, des Kriegs zwischen Ländern und Menschen, er erzählt seine ganz persönliche Illusion: "Ja: Es ist eine Zeit, in der so viel möglich war wie vielleicht noch nie, im Bösen und im Guten, und vor allem im Unerhörten". Kühnes, gottgefälliges Paar Der leitende Ingenieur des Kaliwerks, "Salzherr" genannt, ist der Erwählte; Mann aus dem Osten, Vater eines traurigen, verblüffend selbstständigen Sohnes - ein Witwer. Er spricht ergreifend von seiner verstorbenen Frau, und es fällt ihm sichtlich schwer, sich auf die erschienene Sängerin "einzulassen", wie diese drohend-erwartungsvoll hofft. Das Böse wird diesmal nicht vergessen, im Gegenteil, es ist da - im Missverständnis zwischen Mutter und Tochter, zwischen Vater und Sohn, und am Himmel, wo die Kriegsflugzeuge kreisen, sowieso. Aber das unerhört Gute soll offenbar siegen. Der Sohn vertraut der Sängerin an, dass er den Vater nur störe, während der Vater der Fremden versichert, sein Sohn sei sein Ein und Alles. Dieses traumatisch belastete, restfamiliäre Doppelgemüt zu erobern, ist keine Kleinigkeit für die Sängerin - aber es gelingt ihr! Der Salzherr und die Fremde fallen einander in die Arme, und von nun an scheint ein Singen anzuheben: "Verwandlung". Ein wunderbares Fest wird gefeiert, ein Gottesdienst abgehalten. Es ist die große Versöhnung unter all den Fremden, die, ihrer Vaterländer und Muttersprachen, ihrer Zwiebeltürme und Besitztümer beraubt, im Toten Winkel zusammenleben. Mit der Sängerin kommt nicht nur das verlorene Kind, es kommen die Träume überhaupt zurück, das ganze lebenswerte Leben, und die Pastorin predigt: "Nichts Schöneres, nichts Gottgefälligeres als ein kühnes Paar." Eine rücksichtslos überladene Etüde, ein Traumspiel, eine gezielte poetische Überhöhung ist diese "Vorwintergeschichte"; als Einstieg ins Handke-Universum denkbar ungeeignet. Wer den hohen Ton Handkes nicht mag, und diesmal ist er besonders ausgeprägt, wird die Finger ohnehin von dem Büchlein lassen. Wer aber einen unserer bedeutenden poetischen Illusionisten bei der Arbeit beobachten möchte, lese Kali. Je mehr man sich hineindenkt, desto traumwandlerisch-sicherer entfaltet sich diese Kammeroper der Erlösung. Und doch ist man erleichtert, aus dem Mund der Pastorin endlich zu hören, sie habe nun "genug gepredigt". "Zurück zur Prosa", kündigt sie an. Möge ihr rastloser Erfinder ihr folgen! Einsam mit Handke Versuch über einen anders schönen Tag: Im Guten wie im Schlechten, alles ist beschwert rund um Peter Handke. Nun hat der Schriftsteller ein neues Buch geschrieben, einen kleinen Prosaband namens "Kali". Zeit für eine Lockerungsübung VON DIRK KNIPPHALS Spott und Kunstschwulst, als Handkeleser ist man einiges gewohnt - alles ist vermauert rund um diesen Autor. Kündigt man im Kollegenkreis an: "Ich bleibe morgen zu Hause, lege mich aufs Sofa und lese den neuen Handke", wird man gefragt, ob man dazu denn das "Köln Concert" von Keith Jarrett auflege. Höchststrafe in popversierten Kreisen. Handkeverehrer dagegen scheinen, genauso schlimm, so eine Lektüre als Staatsaktion zu betrachten. Da wird nicht allein gelobt und weiterempfohlen, da wird besungen. So oder so, Handkeleser haben es nicht leicht, nicht erst seit seinen fatalen poetischen Jugoslawieneinsätzen. Anzeige Warum es in dieser Lage nicht einmal mit einer Lockerungsübung probieren? Warum nicht redlich davon berichten, wie es ist, wenn man sich einen Tag lang mit dem neuen Handke-Prosaband "Kali" aufs Sofa legt, liest, aus dem Fenster schaut, zurückblättert, weiterliest? Dabei die langen Schatten einfach beiseite schieben und Handke lesen wie zum ersten Mal, ja, ja, schon gut, das geht natürlich nicht. Aber ganz so beschwert, wie es oft läuft, muss man es ja auch nicht machen. Vom Anfang ist zu berichten, dass es gut anfängt. Niemand kann so elegant einen Handketext inszenieren wie Peter Handke. Es beginnt mit einer Abschiedsnacht, erzählt von einem Ich, das die Geschichte sich selbst vorzusprechen scheint. Eine Frau, Sängerin, beendet eine Konzerttournee - schön beschrieben: der Schlussapplaus -, und wird aufbrechen. Ziel: ein Salzberg, daher der Titel, in deren Gegend sie geboren wurde. Als Leser registriert man die gut gesetzten Unschärfen, man merkt sich Formulierungen. "Ihre Stimme ist anders warm." Dann ist etwas "anders seltsam", bald darauf etwas anderes "anders groß". Dann so ein Satz: "Es ist eine Zeit, in der so viel möglich war wie vielleicht noch nie, im Bösen und im Guten, und vor allem im Unerhörten." So wird man - vorm Fenster treiben Wolken über die Vormittagssonne - eingestimmt auf einen Legendenton. Klar ist: Hier geht es beim Lesen jetzt nicht um ein Wiedererkennen. Mit diesem Text kann man sich aus seiner Umgebung herausbewegen. Man kann einsam sein mit diesem Text, und diese Einsamkeit kann ein (kleines) Abenteuer sein. Die Tricks und Kniffe registriert man aber auch; Handke verschleiert nichts. Einer der ältesten Tricks: ein Buch einführen, in dem die Figuren ergriffen lesen - machte schon Goethe, berühmtes Beispiel, im "Werther". Macht Handke hier also auch. Wobei das Buch angekokelt ist, was aber nicht schlimm ist: "Aber das ist ja von jetzt! Das handelt ja klar von heute", sagt eine Figur. Genau so, das ist der Trick, wie es der Leser von "Kali" denken soll. Von einer "anderen" Aktualität ist eine Seite später die Rede. Also, man verlangsamt unwillkürlich das Lesetempo und ist sehr schnell auf Handke gestimmt. "Kali" ist kein Buch, von dem man irgendjemanden überzeugen möchte, der nicht Lust hat, sich darauf einzulassen. Auch kein Buch, mit dem man irgendetwas beweisen will. Vieles kann einen aber daran vergnügt machen. Zum Beispiel wird eine Figur gefragt, was sie gerade mache. "Nichts. Nicht viel. Viel Nichts", sagt sie, "zunehmend begeistert." Man stellt sich sofort die diebische Freude vor, mit der Handke diese kleine Perle in den Bleistift floss. Dann in der Wirklichkeit eine Episode, an der man gut illustrieren kann, was das alles bewirkt. Gegen Mittag hat die (reale eigene) Tochter Zahnschmerzen. Also Handke erst mal beiseite legen, Tochter von der Schule abholen, zum Zahnarzt, nur ein neuer Backenzahn, der sich aus dem Zahnfleisch drückt. Erleichterung. Außerdem hat man noch Zeit, zusammen etwas zu essen. Ein Italiener hat Tische draußen. So sitzt man dann ganz eingemümmelt in Mantel und Schal vor zwei Tellern Spaghetti und redet über Cäsars Toga (gerade Schulthema), über Tokio Hotel, über dies und das, während die Wintersonne durchbricht. Noch von Handke eingestimmt, stellt sich dabei sehr schön dieser Effekt ein, auf den Arthur C. Danto eine ganze Kunstphilosophie aufbaute: Verklärung des Gewöhnlichen. Die Tochter, die Sonne im Gesicht, Menschen auf dem Bürgersteig. Man fühlt sich mit einem Mal entrückt und sieht alles ästhetisch. Diese kostbaren kleinen profanen Verzauberungen hervorrufen, das kann Handke, das macht auch - entschlossen benutzerorientiert formuliert - den Gebrauchswert seiner Bücher aus. Auch des neuen Buches. Da gibt es gallertbittere Äpfel und Salzkrusten auf der Haut. Solchen Details verleiht Handke erstaunliche sinnliche Wallungswerte. Die Frage ist nur, was man dafür in Kauf nimmt. Zurück auf dem Sofa, stellen sich Einwände ein. Nah an die Verzauberungsmomente sind in "Kali" nämlich Befremdungsanlässe gesetzt. Umständlich ist von "nachtmahlen" die Rede, der hohe Ton kippt sowieso dann und wann ins Bedeutungsschwangere: "Für meine Generation gibt es nichts Höheres mehr." Ach ja, Handke, denkt man und fühlt sich in der Manufactum-Falle: Es gibt sie noch, die guten Bücher. Ungemütlich schwingt ein Hallraum aus Toskanafraktion, Zitronengras und Töpferarbeiten mit. Da muss man dann durch. Zweiter Einwand: Handke legt seinen Figuren zu viele kulturkritische Sentenzen in den Mund. Eine Pastorin tritt auch noch auf und darf ordentlich bußpredigen. Der Punkt ist nicht das Kulturkritische, daraus hätte der Text ja etwas machen können. Der Punkt ist, dass das papieren und statisch bleibt. Schon klar: Figurenperspektive. Aber so ganz wird man den Verdacht nicht los, Handke wolle hier einige gegenwartskritische Anmerkungen aus seinen Notizbüchern unterbringen. Seltsam, dass er sein Verzauberungskönnen immer mit einer Abwertung von Gegenwart und Mainstream flankiert. Hübsch allerdings eine kleine Gehässigkeit gegen das Immergleiche des Fernsehens: "… von Kanal zu Kanal, fast identisch: ein offenbar durchweg fröhliches, aufgekratztes, durcheinanderredendes, im Chor lachendes, in einem fort beklatschtes Palavern folgt auf das andere". Überhaupt kriegt einen das Buch noch mal, während draußen die Sonne langsam hinter die Dächer absinkt. Allmählich entwickelt sich ein Stationendrama, das im Kopf Bilder eines Road Movies auslöst. Die Sängerin trifft, immer näher an den Salzberg reisend, einen Schulfreund von früher, ihre Mutter, die Pastorin, schließlich den Chefingenieur des Kalibergwerkes, das den Salzberg aufgeschüttet hat. Richtig toll dabei: eine eben mal hingetupfte Überfahrt mit dem Schiff über ein Meer. Da sind sie wieder, die sinnlichen Wallungswerte, und man blickt lange aus dem Fenster, weil man sich an dieser Szene noch festhalten will. Schade nur, dass man das Buch dann, nun schon im Dämmerlicht, auch redlich zu Ende gelesen hat. Der Schluss ist schlimm. Da geht es um Schicksal und Erlösung, der Wind spricht, Kinder, die die ganze Zeit vermisst wurden, werden nun wirklich gefunden. Solange die Frau in Bewegung war, war es gut. Am Schluss ist sie angekommen. Lange konnte man das Buch in der Schwebe halten, auf den letzten Seiten aber steht der Kitsch knüppeldick. Bis dahin war es aber ein Weg mit schönen Aussichten gewesen. Insgesamt im Grunde also ein schöner Tag. Gut ausgefüllt. Interessantes Hin und Her. Bisschen seltsam allerdings auch. Und man braucht ihn gewiss nicht jeden Tag zu haben. Sagen wir: Der Tag war anders schön. Kali. Eine Vorwintergeschichte Eine Reise ins Innere der Welt Es ist ein unbestimmtes, ortloses Land, in das Peter Handkes neue Erzählung führt: Nicht jenes "Land vor unserer Zeit", von dem Märchen erzählen, sondern ein Land vor dem Winter. "Kali. Eine Vorwintergeschichte" überschreibt der österreichische Schriftsteller die Erzählung, in der er eine Sängerin durch eine befremdliche, gespenstische Welt gleiten und am Ende fast unbemerkt ein kleines Wunder vollbringen lässt. Handke erzählt dabei in lyrischer Manier, ohne Spannung aufzubauen oder ein dramatisches Sujet zu verfolgen. Man erfährt nicht viel von dieser Frau, einer Musikerin, die nach ihrem letzten Konzert im Herbst eine Reise ins Nirgendwo antritt. Es ist eine widersprüchliche Zeit - nach einem Krieg, gleichzeitig vor einem Krieg. Schlagzeilen verkünden einen historischen Augenblick: "Erster Menschheitstag ohne einen Toten! Rückkehr ins Paradies!" und in der selben Ausgabe "Das Grauen!". Click here to find out more! Nachtwandlerisch, von einem inneren Zwang geleitet, scheinbar lautlos bewegt sich Handkes Figur in einer Welt, die von Auswanderern, Flüchtlingen, Bettlern bevölkert wird. Eine Künstlerin, die absichtslos durch eine traumartige Landschaft gleitet, dabei geheimen, gleichsam magischen Ritualen und Botschaften folgt und findet, was andere längst schon nicht mehr suchen: Zu Beginn, am Abschied von der Bühne, ist es etwas Unbenanntes, was ein Techniker verloren hat, später in einem Knäuel Stoff eine Kontaktlinse ihrer Mutter. Schließlich eine Liebe, die sie tief ins Innere eines Salzbergwerks führt, ins Innere der Welt. Am Ende ist es ein vermisstes Kind, das sie wieder zurück bringt, zum Erstaunen aller. Handke lässt sich Zeit in seiner Erzählung. In erratisch schwebenden Sätzen beschreibt Handke eine märchenhafte und gleichzeitig apokalyptische Welt, in der Menschen nach geheimen, gleichsam vorbestimmten Befehlen handeln. Er zeichnet die Figuren ebenso schemenhaft, wie Ort und Zeit, und legt programmatisch keine Deutung fest. So nennt er das vermisste Kind "Andrea" und lässt offen, ob es ein Mädchen ist oder ein Junge. Auch der Titel "Kali" bleibt mehrdeutig, er könnte für das Salzbergwerk stehen, aber auch für die hinduistische Göttin ¬ die in Umkehrung des Kultes hier kein Opfer verlangt, sondern einen verloren geglaubten Menschen zurückbringt. Irmgard Schmidmaier, dpa http://www.stuttgarter-nachrichten.de/stn/page/detail.php/1353146
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